VinylVideo - Das Missing Link in der Mediengeschichte
von Martina Gröschl
Play them Again, and Again, and Again,...
Wer braucht schon Videorecorder oder DVD-Player, wenn es der gute alte
Plattenspieler auch tut? Wer hat sich nicht schon immer gewünscht,
mit einem einzigen Handgriff zur Lieblingsstelle des Lieblingsfilms springen
zu können, ohne lästiges Herumspulen oder stundenlanges Lesen
in Bedienungsanleitungen? Willkommen in der Welt von VinylVideo.
Die Vinyl-Welt ist wieder in Ordnung - vom Aussterben bedrohte Plattenherstellerfirmen
können auf neue Aufträge hoffen, der gute alte Plattenspieler
wird neuerlich zum Prunkstück der Wohnzimmereinrichtung. Ein revolutionäres
Videoaufzeichnungssystem macht es möglich - das Team von VinylVideo
hat ein Verfahren entwickelt, das Videodaten auf herkömmliche Platten
speicherbar, und wieder abspielbar macht. Man benötigt nichts weiter
als einen alten Plattenspieler, einen Fernseher und das von VinylVideo
entwickelte Home Kit - schon steht einer Plattensammlung der anderen Art
nichts mehr im Wege.
Fake-Medienarchäologie
Natürlich wäre es besser gewesen, diese Entdeckung zu Zeiten
zu machen, wo man sie auch wirklich gebraucht hätte, besteht doch
eine ziemliche Kluft zwischen der Erfindung des Fernsehens in den späten
20er Jahren und dem Einzug der Videorecorder in die Haushalte während
der frühen 80er Jahre. Gerne übersehen wird, dass bereits 1927
ein findiger Schotte namens John Logie Baird Fernsehsignale aufzeichnete,
natürlich war aber damals an eine Wiedergabe derselben nicht zu denken.
Erst in den 50er Jahren wäre es, zwar mit großem Aufwand, aber
doch, technisch möglich gewesen - jedenfalls gemacht hat es keiner.
So wurden die Mitarbeiter von VinylVideo unverhofft zu Medienarchäologen,
auch wenn sie nur etwas entdeckt haben, was eigentlich gar nie da war.
Nach Martin Diamant, dem ,,Techniker" von VinylVideo ist es ,,wie wenn
man Dinosaurierknochen ausbuddelt, die man selbst gefälscht und vergraben
hat."
Order Now!
Nichtsdestotrotz muss ein Produkt unabhängig von seiner Sinnhaftigkeit
auch vermarktet werden. Zu diesem Zwecke gibt es bereits seit 1998 ein
,,Infomercial", dass auf ironische Weise im Stil einer Dauerwerbesendung
die Vorzüge des Systems anpreist. Weiters veranstaltete VinylVideo
heuer erstmals eine Verkaufspräsentation im Rahmen der ,,Behind the
Firewall"-Austellung in der Postmasters Gallery in New York. Von T-Shirts
über Plattenbürsten bis zu Slipmats gab es dort alles zu erstehen.
Natürlich auch das Home Kit zum Preis von 2000 Dollar und eine hübsch
aufbereitete Plattenbox zu je 10 Stück, mit eigens für VinylVideo
produzierten Werken von internationalen Medienkünstlern, erwerbbar
ab 6000 Dollar. Wie die stolzen Preise zeigen, unterliegt der Kunstmarkt
wohl eigenen Gesetzen. Bisher gibt es vom Home Kit nur 3 Prototypen. An
eine ,,Massenproduktion" ist laut Gebhard Sengmüller, dem Urheber
der Idee, wohl nicht zu denken, doch ist man bemüht, das Herstellungsverfahren
soweit zu vereinfachen, dass zumindest einen bescheidenen kommerziellen
Erfolg möglich machen würde.Die Selbstironie, die VinylVideo
von Anfang an begleitet hat, macht sich jedenfalls schon jetzt bezahlt.
Anders wäre es wohl kaum verkraftbar, der Tatsache ins Auge zu sehen,
dass man in den 50er Jahren mit dieser Idee vielleicht sehr, sehr viel
Geld verdienen hätte können...
VinylVideo ist ein Projekt von Gebhard Sengmüller, einem Medienkünstler,
Günter Erhart, einem Informatiker, Martin Diamant, einem - nach eigenen
Worten - ,,technischen Idealisten" und der Kuratorenkooperation Best Before.
Zu bewundern am 5. Mai 2000 im Rahmen des Medienkunstfestivals ,,[d]vision
2000 - Schnittstellen digitaler Kultur" im Schikaneder.
Factbox1: Vom Bild zum Ton
Einen DVD-Player gibt es nirgendwo
Wo haben sie nur den DVD-Player versteckt?
Gleich vorweg - einen DVD-Player gibt es nirgendwo. Doch zogen es die
Mitarbeiter von VinylVideo aus Gründen zeitlicher wie auch finanzieller
Durchführbarkeit vor, zumindest technisch nicht auf den Pfaden der
50er Jahre zu wandeln. Die erforderlichen Umwandlungen der Bild- und Toninformationen
übernimmt ein in den VinylVideo-Labs entwickeltes Computerprogramm.
Vom Bild zum Ton
So besteht der erste Schritt einmal darin, die Bild- und Toninformation
zu digitalisieren. Da herkömmliche Modulationsverfahren Frequenzbereiche
benötigen, die eine Schallplatte schlichtweg überfordern würden,
braucht man zur Umwandlung der digitalisierten Daten in ein Tonsignal ein
Verfahren, das Martin Diamant, der ,,Techniker" von VinylVideo, als eine
"unorthodoxe Amplitudenmodulation" bezeichnet. Diese ist vorrangig dadurch
charakterisiert, dass sie eine sehr niedrige, rechteckförmige(!) Trägerfrequenz
verwendet. Auch bei der Umwandlung des Begleittons geht VinylVideo eigenartige
Wege - so wird er nicht, wie bei ,,normalen" Videoaufzeichnungssystemen,
auf die Bildinformation aufmoduliert, sondern Bild und Ton werden in einer
zeitlichen Abfolge aneinandergereiht.
Vom Ton zum Bild
Die Rückwandlung des Tonsignals übernimmt dann das Home Kit,
ein technisches ,,Wunderding", in dem ein kleiner Computer eingebaut ist,
der mit Hilfe komplizierter mathematischer Berechnungen, aus dem wieder
digitalisierten, von der Schallplatte kommenden Tonsignal, die ursprüngliche
Bild- und Toninformation rekonstruiert. VinylVideo - ein ganz besoderes
Videoerlebnis.
Factbox2: VinylVideo-Art
Medienkunst auf Vinyl
Das Aufzeichnungsystem von VinylVideo bedeutet natürlich ganz
besonders für Medienkünstler eine interessante Herausforderung,
müssen doch den technischen Einschränkungen, die sich durch die
Wahl der Schallplatte als Aufnahmemedium ergeben, Rechnung getragen werden.
Die Qualität des Tones entspricht ungefähr der einer guten Telefonverbindung,
weiters erhält man als Ergebnis der Bildinformationsreduktion nur
schwarz/weiß Bilder und eine Bildwiederholrate von 8 Bildern pro
Sekunde. Die stark verringerte Auflösung lässt Projekte wie "im
unendlich Kleinen verschwindender hellgrauer Punkt auf unendlich großer
weißer Fläche" für VinylVideo eher ungeeignet erscheinen.
Künstler und Künstlergruppen wie Cecile Babiole, Olia Lialina/Teleportacia.org,
Lampalzer/Oppermann, Jodi, Vuk Cosic/Alexej Shulgin, Geert Mul, Monoscope,
Oliver Hangl und Heimo Zobernig haben bereits Werke für VinylVideo
produziert, Bild- und Tonauszüge sind auf der Web-Site von VinylVideo
unter www.vinylvideo.com zu finden.
Bilder:
VinylVideo (Büro)
Martin Diamant und Gebhard Sengmüller
VinylVideo at Postmasters Gallery
VinylVideo (Logo)
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